AUF SURVIVAL TRIP – KRISE BEI LONELY PLANET

AUF SURVIVAL TRIP – KRISE BEI LONELY PLANET

Reportage


Lonely Planet hat den Reiseführer neu erfunden, sich aber beim Weg in die digitale Zukunft verlaufen. Als Reiseleiter holte sich der neue Eigentümer einen 24-jährigen Nerd.

Brand Eins, November 2015

Eigentlich wollte Daniel Houghton das neue Verlagsbüro von Lonely Planet in London eröffnen. Doch der Umzug hat sich verzögert, und die Einweihungsfeier fällt aus. Er versucht, die Panne leichtzunehmen, sie passt ja auch ins Bild. Denn er hat 2013 im Alter von gerade mal 24 Jahren mit der Führung der Firma eine große Baustelle übernommen – eine Kultmarke, die vier Jahrzehnte lang Reisenden den Weg gewiesen hat und nun im digitalen Zeitalter selbst Orientierung sucht.

Vor dieser Herausforderung stehen viele Unternehmen, aber der Fall Lonely Planet ist besonders interessant. Die gleichnamigen Reiseführer wurden berühmt für ihre praktischen, coolen und unterhaltsamen Tipps. „In ist, wer drin ist“, das galt sowohl für die empfohlenen Bars als auch die Autoren. Und machte die Bücher mit dem blauen Logo zum begehrten Objekt für Weltenbummler und den Verlag zum Weltmarktführer.

Heute ist das Geschäftsmodell vieler Verlage – und speziell der von Reiseführern – durch das Internet bedroht. Um sich zu behaupten, schlug Lonely Planet den radikalsten Weg in der Branche ein und machte mit dem Fotojournalisten Daniel Houghton eine der jüngsten Kräfte im Haus zum Chef.

Der sucht seither Antworten auf zwei Fragen: Wie viel Veränderung braucht seine Firma, um zu bestehen? Und wie viel Wandel verkraftet sie, ohne ihre Seele zu verlieren? Houghton begann vor zwei Jahren mit einer einschneidenden Reform. Bald erntete er erste Erfolge, aber auch Widerspruch – und sorgte für Aufruhr in einem Unternehmen, in dem es lange sehr harmonisch zugegangen war.

Das Credo der Gründer lautete: kein Kommerz!

Die Geschichte begann 1972, als Houghton noch gar nicht geboren war. Damals fuhren Tony und Maureen Wheeler auf eine selbst organisierte Hochzeitsreise aus ihrer britischen Heimat bis nach Australien. Nach ihrem neunmonatigen Abenteuer druckten sie eine gelbe Broschüre mit dem Titel „Across Asia on the Cheap“.

Das Heft enthielt Tipps wie den, dass man Haschisch in Afghanistan nur in kleinen Mengen kaufen sollte und „einen letzten Zug nehmen, bevor man an die iranische Grenze kommt“. Globetrotter verehrten das Buch als „Gelbe Bibel“ und richteten sich nach dessen erstem Gebot: Haltet Abstand vom Kommerz, bucht keine Hotels oder Touren – „just go!“.

Die Wheelers hatten den Zeitgeist getroffen und bauten einen dazu passenden Verlag für Reiseführer auf (siehe Randspalte Seite 33). Sie spendeten ein Prozent ihrer Erlöse und zeigten sich auch ihren freien Mitarbeitern gegenüber großzügig. „Für uns Autoren war es fantastisch“, sagt Jeanne Oliver, die 1998 den Kroatien-Führer schrieb: Für ihre achtmonatige Arbeit erhielt sie 25 000 Dollar.

In ihrem Unternehmen pflegten die Wheelers einen freundschaftlichen Umgang. Jeden Herbst luden sie etwa 20 Autoren nach Melbourne zu Debatten über Schreibstil und Verlagsstrategie ein. Abends folgten Motto-Partys. „Alle kamen verkleidet, und zur After Hour landeten einige im bescheidenen Haus von Tony und Maureen“, erinnert sich Oliver. „Die Stimmung war: Wenn du beim Tanzen besoffen umkippst, könnte das für deine Karriere förderlich sein.“

Doch das Prinzip Lonely Planet nutzte sich mit den Jahren –und in Zeiten, in denen es kaum noch weiße Flecken auf dem Planeten gibt – ab. Als nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Zahl der Reisenden deutlich zurückging, geriet die Firma erstmals in Schwierigkeiten. Im Jahr 2007 verkauften die Wheelers die Firma an BBC Worldwide, die kommerzielle Tochter der Rundfunkanstalt. Die Briten erwarben zunächst 75 Prozent des Verlags und 2011 den Rest für insgesamt rund 175 Millionen Euro. Für die Gründer war das ein gutes Geschäft – für die Käufer nicht.

Gleich im ersten Jahr machten die neuen Besitzer knapp vier Millionen Euro Verlust, auch weil sie viel Geld in den Aufbau einer neuen Website investierten. Die erhoffte Synergie blieb aus: BBC-Reporter in London und Lonely-Planet-Redakteure in Melbourne tauschten nicht wie erhofft Artikel aus; sie beäugten sich eher misstrauisch. 2012 erreichte die BBC dann noch eine erschreckende Nachricht: Google kaufte den konkurrierenden Reise-Verlag Frommer’s.

Zunächst schlachtete der Internet-Riese die Bücher aus. Denn Daten aus frei zugänglichen Internetseiten konnte Google bereits durchstöbern, doch die Speisekarten kleiner Restaurants und Bars kannten die Kalifornier noch nicht – und erst recht keine Beurteilungen, die meist urheberrechtlich geschützt waren. Diese Informationen suchte das Unternehmen für sein soziales Netz Google+ – und fand sie in den Reiseführern.

Ein Menetekel für Lonely Planet. Touristen informieren sich über Flüge mit Google Flights und über Unterkünfte bei dem Google Hotel Finder; sie bekommen Ausgeh-Tipps, basierend auf ihren Hobbyangaben bei Google+, mit Wegbeschreibung von Google Maps und Übersetzung von Google Translate. Eines Tages könnte Googles Abteilung Travel all dies in einer App vereinen – und Reiseführer überflüssig machen.

Ein deutliches Signal war zudem der Preis: Lediglich rund 20 Millionen Euro bezahlte der Suchmaschinen-Konzern für Frommer’s, immerhin Nummer eins bei Reiseführern in den USA. Von den gedruckten Büchern hielt Google nichts und stellte deren Produktion ein. Damit hatte Lonely Planet einen Print-Konkurrenten weniger – und eine Sorge mehr: War das Geschäft mit Reiseführern obsolet geworden?

Stephen Mesquita wird dafür bezahlt, diese Frage zu beantworten. Er hat einen Schnauzer, die Aura eines allwissenden Onkels und den Twitter-Namen Travelpubguru. Diesen Titel trägt er, da er die Verkaufszahlen von Reiseführern kennt, die Verlage nicht verraten. Sein Trick: Buchläden erfassen ihre Verkäufe über ISBN-Codes an der Ladenkasse und geben diese Zahlen meist an den Datendienst Nielsen Bookscan weiter. Von dort ersteht Mesquita die Informationen und erstellt damit das „Travel Publishing Year Book“. Diese Branchenübersicht verkauft er an Verlage und andere Interessierte. Mesquita sieht die Lage so: Auf Websites wie Hostelworld, Wikivoyage und vor allem Tripadvisor beschreiben Millionen Urlauber Hotels und Restaurants. Diese Gratis-Tipps sind umfassender und aktueller als jedes Buch – und damit eine harte Konkurrenz. Nach seiner Berechnung machten Verlage in den USA im Jahr 2007 mit Reiseführern 170 Millionen Dollar Umsatz. Bis 2012 sank die Summe um 43 Prozent. Die US-Verkäufe von Lonely Planet schrumpften um 28 Prozent. Dieser Trend zeigte sich auch auf anderen wichtigen Absatzmärkten wie Australien, Italien und Großbritannien.

Der neue Eigentümer wurde mit Rindern reich

Alarmiert von diesen Entwicklungen, suchte die BBC einen Käufer für Lonely Planet. Doch wer sollte sich an dieses Abenteuer wagen, da doch die berühmteste Rundfunkanstalt der Welt daran gescheitert war?

Brad Kelley traute sich. Der US-Milliardär kaufte Lonely Planet im April 2013 für rund ein Drittel des Preises, den die BBC ausgegeben hatte – und löste einen Kulturschock aus. Im Gegensatz zu seinen feierfreudigen Angestellten agiert der 57-Jährige mit dem roten Kinnbart gern im Verborgenen. Er meidet die Öffentlichkeit und Journalisten. Aufgewachsen ist er auf einer Tabak-Farm in Kentucky; sein Vermögen verdiente er mit Billig-Zigaretten und investierte es in Rinder-Farmen, mit denen er zum viertgrößten Grundbesitzer der USA aufstieg. Mit reisenden Hippies hatte er nie viel am Hut.

Noch überraschender war seine erste Entscheidung, Daniel Houghton zum Chef zu machen: Was qualifiziert den jungen Mann dazu? Eine Antwort ist nicht leicht zu finden. Denn ähnlich wie der Besitzer ist auch sein Geschäftsführer scheu. Ein halbes Jahr und viele E-Mails waren nötig, bis Houghton einem Gespräch in London zustimmte – sein erstes Treffen mit einem europäischen Magazin. Nur 30 Minuten hat er Zeit und warnt, „persönliche Fragen können Sie schon stellen, aber das wird nicht spannend“.

Versuchen wir es trotzdem: Konnte er mit den Haschisch-Tipps seines kiffenden Vorgängers Tony Wheeler etwas anfangen? „Nein“, antwortet er trocken, „ich bin langweilig.“

Umso erstaunlicher verlief seine Karriere. Sie begann mit einem Foto-Studium an der Western Kentucky University – wo auch sein Boss Brad Kelley studiert hatte. Dort spielte Houghton Trompete in der Marching Band, wo er seine Freundin Susan kennenlernte und mit 21 Jahren heiratete.

In jeder freien Minute übte er das Fotografieren. Mit einem Freund fuhr er bis Alabama und kämpfte sich durch Tornado-Trümmer. „Die Suche nach Bildern hat uns so berauscht, dass wir tagelang mit wenig Schlaf auskamen.“ Er beschreibt damit nebenbei Eigenschaften, die alle erwähnen, die ihn besser kennen: Zielstrebigkeit und extreme Ausdauer.

Houghton ist ein großer, schlaksiger Typ, der eine Hornbrille und abgewetzte Lederschuhe trägt. Stolz ist er auf seine 4200-Dollar-Uhr sowie sein Arsenal an Apple-Produkten. Bald nach seinem Hochschulabschluss gründete er die Firma Houghton Multimedia. Seine Aufträge waren bescheiden, er fotografierte unter anderem Hochzeiten in Kentucky. Was ihn aber nicht davon abhielt, auf seiner damaligen Firmen-Website zu verkünden: „Daniels Philosophie ist einfach: Sei nicht durchschnittlich.“

Die Autoren produzieren nun Häppchen

So gewann er die Aufmerksamkeit eines Personalberaters, der für Brad Kelley arbeitete. Er interviewte Houghton und empfahl ihn darauf dem Milliardär, der im Nachbarstaat Tennessee eine kleine Medienfirma aufbauen wollte und Talente suchte. Kelley schwärmte von dem jungen Mann, der fest entschlossen sei, es weit zu bringen. Im Juni 2011 stellte er Houghton ein. Als Chef des neuen Unternehmens NC2 Media entwickelte Houghton das Dokumentarfilm-Portal Outwild TV, ihm unterstanden vier Angestellte. Ein knappes Jahr später witterte Kelley die Chance bei Lonely Planet.

Dort waren hundertmal mehr Mitarbeiter beschäftigt – dennoch bekam Houghton die Aufgabe, Einnahmen, Ausgaben und Strategie der Firma zu prüfen. Dabei beeindruckte er seinen Boss, der betonte, wie ehrgeizig, anpassungsfähig und organisiert sein junger Angestellter vorgegangen sei. „Als wir Lonely Planet kauften, ergab es einfach Sinn, dass ich die Firma leitete“, erinnert sich Houghton nüchtern. Er war nun der Mann für die digitale Revolution.

Zwei Jahre später sitzt er in London, einem der drei großen Standorte. In dem neuen Büro stehen schlichte Tische neben bunten Sitzwürfeln. Mittendrin sitzt Tom Hall, der als Editorial Director die Publikationen verantwortet. Houghton gesellt sich dazu. „Oh Daniel, ich habe schon erzählt, dass du nichts drauf hast“, frotzelt Hall. „Du hast ja recht“, sagt der Chef und grinst.

Der Witz zielt auf Houghtons Problem: die Skepsis vieler Angestellter.

Schon seine Vorstellungstour begann mit einem Affront. Aus den USA war er nach London gereist. Dort fürchteten die Mitarbeiter Entlassungen und projizierten zur Begrüßung ihres Chefs ein Bild an die Wand: der biblische Daniel in der Höhle des Löwen.

Daniel Houghton steckt jenseits solcher Befindlichkeiten in einer Zwickmühle: Die Stärke von Lonely Planet sind die zuverlässigen Autoren. Doch die sind im Wettbewerb mit dem Schwarm im Netz zu langsam. Wenn sie hingegen mit der Online-Gemeinde kooperieren und anonyme Tipps auf der Website aufnehmen, riskiert der Verlag sein Alleinstellungsmerkmal.

Was also tun?

Houghton begann mit einem harten Schnitt: Von 383 Angestellten entließ er 75; andere gingen in Teilzeit, sodass die Zahl der Arbeitsstunden Insidern zufolge sogar um 30 Prozent fiel. Der Chef holte andere Leute ins faktische neue Hauptquartier in der Provinz von Tennessee: Programmierer und Daten-Analysten. Die Firma ist nun schlanker, jünger und digitaler, aber auch weiter entfernt von ihren Wurzeln in Melbourne und London.

Außerdem änderte Houghton die Arbeitsabläufe. Er ersetzte Redakteure, die einst Reiseführer in Auftrag gegeben hatten, durch solche, die nun eine von 18 Regionen betreuen. Statt Büchern bestellen sie jetzt Inhalte für Print- und Digitalprodukte – eine ganz andere Logik.

Früher zog ein Autor los, recherchierte und schrieb ein Manuskript. Das wurde lektoriert, gestaltet und gedruckt. Erst dann kam der Inhalt auch auf die Website und in Apps – und war sechs Monate alt.Um das zu ändern, werden die Reiseführer nun in kleine Häppchen aufgeteilt. Dazu zählen sogenannte Points of Interest (POIs), etwa Sehenswürdigkeiten. Dafür gibt es das Programm, das intern Wood Chipper (Holz-Häcksler) heißt. Es erkennt in Texten automatisch POIs und speist sie in die Datenbank ein, den neuen Wissensschatz.

Viele Mitarbeiter sind ängstlich

Um diesen zu pflegen, verschicken Redakteure monatlich eine Rund-Mail an die 200 freien Autoren. Diese erfahren, welche Bücher geplant sind, und können sich dafür bewerben. Wer den Zuschlag bekommt, muss von unterwegs meist auch Tweets und Instagram-Fotos liefern. Vor allem fließen aus Buch-Manuskripten schon vor dem Druck alle POIs in die Datenbank und von dort in unterschiedliche Produkte: Apps, verschiedene Reiseführer und auch in Zusatz-Titel wie das Coffee-Table-Book „The World“, die laut Mesquita in Großbritannien schon 11 Prozent von Lonely Planets Verkäufen ausmachen. So werden Recherchen mehrfach verwertet, und der Verlag kann sein Programm ausweiten. Houghton sagt: „Befreit vom Reiseführer-Rhythmus geht alles schneller.“

Er mag Effizienz. Und Flughäfen. Früher flog er oft Standby, also auf Warteliste, um billig zu den Orten zu kommen, wo er fotografieren wollte – und hatte während der Wartezeiten ausgiebig Gelegenheit, die Flughäfen zu studieren. „Viele hassen sie – ich liebe sie.“ Er beschreibt damit auch einen Wandel bei Lonely Planet: Keiner der Autoren reist mehr neun Monate über Land.

Dafür gibt es immer mehr Literatur zu Kurztrips. Das Konzept scheint zu funktionieren. Nach Auskunft von Mesquita ist zwar der US-Markt für Reiseführer zwischen 2012 bis 2014 um weitere 14 Prozent geschrumpft, auch weil die Frommer’s-Bücher fast verschwanden. Lonely Planets US-Umsätze aber stiegen in dem Zeitraum um fast 14 Prozent. Ähnlich erging es sechs der sieben führenden Verlagen – während bei 13 der 14 nächstkleineren die Umsätze fielen. Mesquita erklärt das so: „Bei Amazon suchen Leute bekannte Marken, auf die konzentrieren sich dann auch die Buchläden – beides hilft den großen Verlagen.“

Fragt man Mitarbeiter, was sie von den Veränderungen bei Lonely Planet halten, stößt man zunächst auf freundliches Schweigen. Private Pressekontakte seien nicht erwünscht: „Das könnte mich meinen Job kosten.“ Erstaunlich in einem Unternehmen, das seine Weltoffenheit zelebriert.

Aber dann spricht doch ein Autor. „Anfangs schien es, als wären manche in Tennessee schon bereit, alle Bücher zu verbrennen“, sagt er. „Doch die Chefs haben offenbar erkannt, dass eine antiverlegerische Strategie nicht das Cleverste ist für einen Verlag.“ Persönlich sei er zwar gut im Geschäft. „Aber bei Tony und Maureen fühlte ich mich als Teil der Familie – heute gibt es höchstens Rund-Mails im Business-Ton.“ Zwar erscheine ihm Lonely Planet weiter führend, von der Professionalität der Redakteure bis zur Bezahlung. „Doch viele haben Angst, dass die Aufträge künftig abgegriffen werden von Kids mit iPhones, die wenig Honorar verlangen.“

Darauf bauen einige der 450 neuen Blogger. Sie schreiben Artikel und drehen Videos für die Website. Dafür bekommen sie eine große Bühne und für manche Aufträge Geld. Eine Art Mittelweg zwischen anständig bezahlten Buchbeiträgen und Gratistipps von Unbekannten. So versucht sich Houghton aus der Zwickmühle zu befreien und einen Schritt in Richtung von Inhalten zu gehen, die von Nutzern erstellt werden.

Seine große Hoffnung ruht auf dem digitalen Geschäft, das bereits auf vier Wegen Geld bringt. Zum einen vertreibt der Verlag Apps, E-Books und PDF-Dateien seiner Bücher. Zweitens verkauft er gebündelte Tipps aus seiner Datenbank, etwa an Tourismusverbände. Drittens bietet er Bannerwerbung auf seiner Website an. Und schließlich finden Besucher dort auch Flüge, Versicherungen, und Hotels, bei deren Buchung Lonely Planet eine Kommission kassiert.

Ein neues globales Führungsteam soll’s richten

An jeder dieser Fronten kämpft der Verlag gegen verschiedene Konkurrenten. Das Start-up Spotted By Locals verkauft ebenfalls PDFs mit Tipps für Städtereisen. Empfehlungs-Portale wie Yelp oder Foursquare vertreiben kostenlose Apps mit Nutzer-Kommentaren oder Bewertungen von Restaurants oder Läden. Spezielle Suchmaschinen wie Kayak, Booking.com und Expedia konkurrieren um Buchungen. Im Eifer dieser digitalen Gefechte hat sich bei Lonely Planet die einstige Skepsis gegenüber dem Kommerz verflüchtigt. Statt „just go“ heißt die Devise heute eher „just buy!“.

Das Onlinegeschäft hatte schon der einstige Eigentümer BBC forciert und es so geschafft, den Anteil der digitalen Einnahmen am Umsatz von 9 auf 27 Prozent zu verdreifachen. Inzwischen beträgt der Anteil laut einem leitenden Angestellten „um die 30 Prozent“. Als Ergebnis einer zweijährigen Digital-Offensive ist dies nur ein geringer Fortschritt. Und ein ehemaliger Ex-Mitarbeiter beurteilt die Digital-Strategie so: „Eher Evolution, als Revolution.“

Das weiß auch Houghton – und es betrifft seine umstrittenste Entscheidung. Er entließ erfahrene Redakteure und Manager und machte Gus Balbontin zum Technik-Chef. Damit war der Kulturwandel komplett: Das einstige Familienunternehmen unter der Führung der mütterlichen Verlagsleiterin Judy Slatyer war nun ein Multimediakonzern, geleitet von zwei jungen Digital-Fans und einem Finanzexperten.

Doch Mitarbeiter bemängelten, dass dem Techniker Balbontin Ideen für Innovationen fehlten. „Ich wollte ihn, weil ich Leute um mich suchte, die an Lonely Planet glauben und Neuerungen anstreben“, sagt Houghton. Doch das funktionierte offenbar nicht, bereits nach anderthalb Jahren auf dem Posten verließ Balbontin Lonely Planet.

Stattdessen etablierte Houghton ein Leitungs-Team: zwei Frauen, fünf Männer, viele in ihren Zwanzigern und Dreißigern und verteilt über drei Kontinente. Das erschwert die Koordination. Dennoch hoffen viele, dass das Team eine klarere Strategie erarbeiten wird.

Denn der Verlag braucht noch mehr Wandel im digitalen Wettstreit; ob sich das mit dem Geist der Firma verträgt, ist umstritten. Eine frühere Autorin klagt: „Schon mit dem Verkauf an den Tabak-Typen aus Amerika hat Lonely Planet seine Seele verloren, denn es ging gegen alles, wofür die Firma gestanden hatte.“

Adam Moore, Art Director von Lonely Planets Marketing und der erste Mitarbeiter, den Houghton einstellte, widerspricht. Man tue alles, um reisebegeisterte Angestellte zu finden, die den Geist des Unternehmens leben. „Deswegen sind unsere Führer so lustig, überraschend und auch schrullig wie eh und je – und das zählt.“

Daniel Houghton selbst sagt, er wolle sein Umfeld inspirieren und mit gutem Beispiel vorangehen. „Dafür arbeite ich auch länger als alle anderen.“ Für einen Chef ist das normal und für Houghton erst recht. Aber bei dem Verlagsleiter von Lonely Planet verblüfft es doch, wenn er ergänzt: „Ich reise beruflich so viel, dass ich nicht mal weiß, ob ich diesen Sommer überhaupt noch in Urlaub fahre.“


 

 

Lonely Planet in Deutschland

Das Unternehmen arbeitet mit zwölf ausländischen Verlagen zusammen, die die Reiseführer übersetzen und vertreiben. Hierzulande übernimmt das die größte deutsche Reiseverlagsgruppe MairDumont, die auch Bücher von Marco Polo, Baedeker und DuMont herausgibt. „Das erste Mal sind wir 2004 auf Lonely Planet zugegangen, aber es dauerte zwei Jahre, bis wir alles geklärt hatten und der erste deutschsprachige Lonely Planet erschien“, sagt die Verlegerin Stephanie Mair-Huydts. „Für Tony und Maureen Wheeler war ihre Marke so wichtig, dass sie jedes Detail prüften: Logos, PR-Texte und Übersetzungen.“Der Aufwand hat sich gelohnt: Von den mehr als 500 Lonely-Planet-Titeln erscheinen knapp 100 auf Deutsch. Und anders als in den meisten Ländern wächst der Umsatz mit ihnen – jährlich um etwa fünf Prozent. „Die Deutschen waren lange Reiseweltmeister und pflegen weiter die Tradition von Reiseführern“, sagt Mair-Huydts. Zudem hielten sich hier Buchläden besser als etwa in den USA. „Wir verkaufen drei Viertel der Lonely Planets über stationäre Buchhandlungen, und es ist ein Segen für die Kunden und für uns, dass es weiterhin so viele dieser Läden gibt.“

 

Die Firmengeschichte

Juli 1972: Tony Wheeler geht mit seiner Frau Maureen auf Hochzeitsreise. Mit ihrem acht Jahre alten Austin Minivan und 400 Pfund in Reise-Schecks fahren sie über Istanbul und Teheran nach Kabul. Dann weiter mit dem Zug, Bus, einem Kurzstreckenflug und als Aushilfskräfte auf einer Segelyacht nach Sydney. Dort wollen sie Geld für ihre Rückflüge nach Großbritannien verdienen. In ihrer Freizeit machen sie aus ihren Reise-Erinnerungen die Broschüre „Across Asia on the Cheap“. Der Verlagsname Lonely Planet ist an eine Liedzeile von Joe Cockers Song „Space Captain“ angelehnt. Die ersten 1500 Exemplare ihres Buchs verkaufen sie innerhalb weniger Wochen.

Januar 1974: Die beiden erkunden Südostasien, um darüber ihren ersten richtigen Reiseführer zu schreiben, der 1975 erscheint. Da sie in Australien bereits Kontakte haben, bleiben sie dort und etablieren 1976 in Melbourne den Verlag Lonely Planet Publications. Im Dezember 1979 steigt ihr Freund Jim Hart als Mitarbeiter ins Team ein und kauft 25 Prozent der Firma. Nach mehreren kleinen Reiseführern wagen sich die Wheelers 1981 an ein Buch über Indien. Es wird dreimal länger und dreimal teurer als vorherige Führer – und der erste echte Bestseller.

Ende 1987: Lonely Planet beginnt, jährlich ein Prozent des Umsatzes zu spenden. Der Betrag wächst bis 2001 auf 400 000 Pfund.

Ende 1998: Das Verhältnis der Wheelers zu Jim Hart verschlechtert sich. Er verkauft seine Anteile an den PR-Unternehmer John Singleton.

Frühjahr 2002: Erstmals entlässt Lonely Planet Mitarbeiter: Etwa 100 Angestellte in den relativ teuren Auslandsbüros in Oakland (Kalifornien) und London müssen gehen.

Juni 2003: Nach den Anschlägen 2001 in den USA sowie 2002 auf Bali und dem Anstieg des Australischen Dollars, der die Einnahmen aus dem Ausland schmälert, werden auch in Melbourne Mitarbeiter entlassen.

Okotober 2007: Die Wheelers verkaufen 50 Prozent und ihr Partner John Singleton seine 25 Prozent an die BBC.

Januar 2010: Lonely Planet setzt das hundertmillionste Buch ab. Die Wheelers haben ihre Verkaufserlöse in die Planet Wheeler Stiftung (2008) und den Melbourner Kulturtreff „Wheeler Center – Books, Writing and Ideas“ investiert.

Februar 2011: Die Wheelers verkaufen ihre restlichen 25 Prozent von Lonely Planet an die BBC.

April 2013: NC2 Media, die Firma des US-Milliardärs Brad Kelley, kauft Lonely Planet für umgerechnet 60 Millionen Euro.

Juli 2015: Nach den größeren Büros in Melbourne, Oakland, London, Franklin, Neu-Delhi und Peking öffnet das siebte Lonely-Planet-Büro in Dublin.

September 2015: Das 2008 lancierte »Lonely Planet Traveller Magazin« kommt mit einer nationalen Auflage von 450 000 auf den US-Markt und erscheint damit weltweit in elf verschiedenen Ausgaben. Die deutsche wird seit 2012 vom Life Verlag in Hamburg herausgegeben.

 

Lonely Planets größten Akquisitionen

Firma: Passport to Adventure

Zeitpunkt: September 2013

Preis: Unbekannt

Geschäft: 20 Jahre alte amerikanische TV-Serie mit Reise-Dokus

Ziel: Kritiker bemängelten, dass man in den fünf Jahren unter der BBC weniger Videos drehte als in den fünf Jahren zuvor. Das wollte der Video-Fan Daniel Houghton ändern.

Fazit: Bislang ist die Video-Produktion von Lonely Planet qualitativ und quantitativ weiter hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

 

Firma: TouristEye

Zeitpunkt: November 2013

Preis: Unbekannt. Die Investoren, die 500 000 Dollar in das Start-up steckten, sollen zufrieden mit ihrem Erlös gewesen sein.

Geschäft: App zur Reiseplanung. Dort finden Nutzer Bewertungen von Bars, Hostels etc. und können Tipps austauschen. Vor allem können sie diese Infos und Karten auch offline lesen, wenn sie auf Reisen keinen Internet-Zugang haben.

Ziel: Lonely Planet wollte von TouristEye die Apps, Reiseinfos, Algorithmen, 500 000 Nutzer sowie die acht Angestellten übernehmen. Die Tipps sollten mit eigenen Daten kombiniert werden, um so eine eigene Reise-App zu kreieren.

Fazit: Wegen des anfänglichen Mangels an IT-Fachleuten und der Verlegung der App-Entwicklung aus London in die USA dauerten die Arbeiten länger als gedacht. Doch sechs der acht TouristEye-Mit-arbeiter sind weiter dabei, und Eingeweih- te loben die App und die neue Website, die beide spätestens 2016 vorgestellt werden sollen.

 

Firma: Budget Travel Magazin

Zeitpunkt: Februar 2014

Preis: Mutmaßlich 2,4 Millionen Dollar

Geschäft: Traditionsreiches, aber kriselndes Reisemagazin ursprünglich aus dem US-Verlag Frommer’s.

Ziel: Lonely Planet plante, für sein 2008 gegründetes »Lonely Planet Magazin« eine eigene Ausgabe in den USA. Dafür wollte der Verlag wohl die Daten der Budget-Travel-Abonnenten.

Fazit: Im September 2015 startete das »Lonely Planet Magazin« in den USA. Die Auflage von 450 000 ist auch so hoch, weil offenbar Abonnenten von Budget Travel übernommen werden konnten.

 

Firma: Teton Gravity Research

Zeitpunkt: Januar 2015

Preis: Strategische Beteiligung zu einem unbekannten Preis

Geschäft: Eine der führenden Produktionsfirmen für Snowboard-, Ski-, Mountainbike- und Surf-Filme.

Ziel: Der begeisterte Skifahrer Daniel Houghton ist Teton-Fan und hofft auf gemeinsame Produktionen.

Fazit: Bislang sucht Lonely Planet noch Wege, um die Qualität einzelner Teton-Filme auf Reisevideos zu übertragen.

Foto: Oliver Hess